Vom Handweben…und seinen Umständen
Zum Glück sind, wie beim Backofen heizen und Brot backen, immer noch Menschen da, die dies vorführen und somit alte Traditionen nicht aussterben lassen, wie auch die des Webens mit der Hand nicht. Für sie ist es zwar meist ein Hobby, den Umgang mit den alten Webstühlen zu erfahren, aber es ist bewundernswert, wie sie die alten Webmuster erhalten und aufleben lassen und über das Weben Bescheid wissen.
Das Weben ist Kunst und Können. Dennoch haben die einfachen Leute auf dem Lande das ausgeübt und sich Routine angeeignet. Sie bewerkstelligten seit Generationen die aufwendige Tätigkeit des bäuerlichen Webens zur Aussteuer der Töchter und für den Hausgebrauch. Bis nach dem 2. Weltkrieg war eine standesgemäße Ausstattung der Tochter bei Verheiratung gesetzlich. Neben Bargeld, Vieh und Hausrat war die Mitgift an Webwaren üblich, die eine Generation lang die Bedürfnisse eines Haushaltes mit Wäschestücken decken sollte.
Am 01.07.1958 beendete das in Kraft getretene Gleichberechtigungsgesetz zwischen Mann und Frau diese Elternpflicht. Nun fuhren, wie einst, keine „Bettenwagen“ mehr durch die Lande und kein gefüllter Leinenschrank war am Hochzeitstag zu bewundern.
Im Krieg und in der ersten Nachkriegszeit kam das Weben wegen Material-, ja auch Raum– und Zeitmangel nicht in Betracht. Es wurde aber ab und an mit guten Beziehungen und Flachsanbau möglich gemacht, weil die Haustochter unbedingt nach alter Sitte „een vullet Linnenschapp“ mit in die Ehe bekommen sollte.
Die Webereien versuchten ihre Betriebe zu erhalten, es entstanden sogar neue, die auch Kurse in Scheren und Weben gaben. Frauen und Mädchen fingen vereinzelt an, wieder für diese Betriebe oder Kaufhäuser im Auftrag zu weben. Das ergab ein Zubrot und konnte manchmal einen Raum von einer Belegung mit Flüchtlingen und Vertriebenen frei halten. Aber erst die Währungsreform im Mai 1948 brachte Aufschwung. Doch nach und nach legte sich das Interesse am Handgewebten. Man aß lieber von blanken Tischen und Sets, das sparte Wäsche und Heißmangel. Die wertvolle handgewebte und umhäkelte Tischdecke aus Großmutters Zeiten blieb im Schrank.
Viele Leinenschränke auf den Bauernhöfen, die den Krieg überstanden haben, sind dennoch mit Webschätzen vergangener Generation gefüllt, die nicht verbraucht worden sind. Es standen und stehen auf den Fluren und Dielen mancher Häuser mehrere solcher Schränke, weil die Tochter, oder Töchter, nicht geheiratet haben. Manchmal geschah das in jeder Generation. Wenn „die Tante auf dem Hof“ ihre Mitgift nicht zu Lebzeiten verschenkte, blieb sie nach ihrem Tode auf der Hausstelle. Oftmals kam durch eine zweite Ehe eine neue Aussteuer zu diesem Vorrat. Dagegen konnte es in anderen Häusern mit vielen heiratswilligen Kindern damit knapp sein.
Manches Stück aus den Schränken ist sicherlich nach dem Krieg zum Tausch von Gegenständen verwendet worden, mehr oder minder notwendig, die nicht für Geld zu kaufen waren. Es bleib dennoch genug an Vorräten, um die einstige Webkunst in seiner Vielfalt verfolgen zu können.
Nicht in diesen Schränken aufbewahrt wurde das Zeug der Oberbekleidung für Männer und Frauen, auch Kinder, das früher fast nur selbst gewebt wurde. Es handelte sich nicht um feines Tuchgewebe aus Kamm– und Streichgarn, was Tuchmacher in den Städten im eigenen vornehmen Gewerbe herstellten. Auf dem Lande brauchte man derbe, strapazierfähige Kleidung für den Alltag aus Drell oder Drillich, das sind dichte kräftige festgewebte Stoffe aus Baumwolle oder Leinen in Köper– oder Atlasbindungen gewesen, ehe Manchester, das starke samtige gerippte Baumwollgewebe aus England, in Mode kam und noch heute aktuell ist.
Barchent, auch aus Baumwolle, in einstiger flanellartiger Köper– oder Atlasbindung, bildete eine weichere Stoffart für Kleidung, wie auch Dullaken, das Gewebe aus zweierlei Fasern, Flachs oder Leinen mit Wolle, denn auch der Sonntagsstaat, außer den Hochzeitsgewändern, war selbst gewebt. Dagegen ließ sich Beiderwand, ein grobes Gewebe in Leinwandbindung mit Mischungen aus Wolle, Leinen oder Baumwolle vielseitig in der Derbheit einsetzten.
Die gewebten Kleiderstoffe wurden gefärbt, um im Gebrauch unempfindlicher zu sein. Das geschah meistens in blauer Farbe, weil sie praktisch in ihrem dunklen Ton und die an Erfahrung bekannteste Färberei früher bildete. Nach dem jahrhundertlangem Gebrauch von Färberwaid, der hiesigen Pflanze, machte dann das von Indien eingeführte Indigo das Blaufärben leichter und schöner. Dennoch war es wohl eine unangenehme Arbeit. Sicher gab es auch andere Rezepte dafür, als das hier Abgeschriebene aus dem Buch von Ernst Block über „Frühere handwerkliche Berufe in Niedersachsen“ (1926), doch es zeigte die Kreativität der Menschen früher, die mit primitivsten Mitteln zu arbeiten hatten.
„Da das Blaufärben keine angenehme Arbeit war“, heißt es in der Beschreibung, „so wird sich wohl nicht jeder auf dem Lande damit abgegeben haben. Es war mehr die Beschäftigung einzelner Frauen, die für sich und andere das Färben besorgten.
Zunächst nahm man einen ziemlich großen Topf und füllte ihn mit Harn und setzte ihn in den Mist im Stall, damit der Harn ordentlich durchwärmte und Säure entwickelte. Nach etwa zwei bis drei Tagen öffnete man den Topf, legte lose die zu färbenden Sachen hinein und legte obenauf ein Läppchen, in das Indigo eingewickelt war. Auf etwa einen halben bis dreiviertel Eimer Flüssigkeit rechnete man ein Lot Indigo.
Der Topf wurde verschlossen und wieder in den warmen Stallmist eingebuddelt. Nach drei Tagen waren die Stoffe gefärbt und die Farbe mit Harnsäure fest eingebeizt. Die gefärbten Sachen brauchten jetzt nur noch gewaschen und getrocknet zu werden.“
Nun zu dem Gewebten, das die Borde des Leinenschranks zur Hochzeit füllte. Zur Mitgift gehörten früher zwei Leichenlaken und zwei Totenhemde aus feinem Leinen, ehe man später die Verstorbenen auch in ihrer Sonntagskleidung in den Sarg legte.
Tischlaken gab es viele in der Aussteuer und ihre Webmuster waren von einfach bis kompliziert. Die groben bedeckten den täglichen Esstisch bei den gemeinsamen Mahlzeiten, um die Tischplatte zu schonen. Das erstaunt uns heute; es überrascht auch die gute Esskultur. Wie berichtet (und noch selbst erlebt!), wurden die Speisen, mundgerecht zubereitet, stets aus einer Schüssel mitten auf dem Tisch gelöffelt. Dabei schlabberte man nicht, weil man den runden oder quergestellten hölzernen oder Zinnlöffel, nur halb füllte, ihn am Schüsselrand abstrich, dann, mit aufgestütztem Ellenbogen, langsam zum Munde führte. Weil jeder der Reihe nach, beim Hausvater begonnen, zulangte, blieb Zeit zum Kauen, bis man wieder dran war. Die leere Schüssel wurde nachgefüllt, jeder wurde satt und man ließ sich Zeit bei den Mahlzeiten.
Danach leckte man seinen Löffel sauber, steckte ihn abgewischt in den Wandhalter, Knechte auch in ihren Hosenbund, denn jeder hatte seinen eigenen Löffel mit einem Zeichen. Einmal in der Woche soll ein Abwasch gewesen sein, wird berichtet. Messer und Gabeln gab es auf dem Lande erst verhältnismäßig spät.
Die Stubenlaken zeigten das Können der Weberinnen in vielfältigen schwierigen Mustern und in den kunstvoll gestickten Monogrammen. Der Kreuzstichname, nach Faden abgewählt, war schon lange vor dem Aufzeichnen mit Schablonen für Plattstiche üblich.
Zusammengenäht wurden die Webteile per Hand, genauso wie der Saum, in feinen Stichen. Das Garn war vom Gesponnenen oder Schergarn, bis die Nähmaschine diese Arbeit erleichterte mit dem gekauften Nähgarnen in vielen Stärken. Es lagen aber auch ganze Rollen Leinen für den Tischgebrauch im Schrank, die sogenannte „Dielenlaken“, die für die langen Tische auf den Dielen bei Hochzeiten und Beerdigungen aufgelegt wurden und nur die schmalen Tischplatten bedeckten.
Viel Platz nahmen im Schrank die „Büren“ ein, die Bettbezüge, die in den schmalen Butzen einst zwei Schläfer mit dem Federbett zudecken sollten und später für das doppelte Bett, „de Tweeslöpern“ in den Kammern etwas breiter waren, aber kurz gegenüber den heutigen Maßen.
Da gab es die tief dunkelblau karierten, auch mit roten Fäden dazwischen, unempfindlichen Bezüge für die Wintermonate, als früher eine Wäsche nicht möglich war. Das ist ein kaum berührtes Thema in den Museen und Berichten über altes Hauswesen, wie gewaschen wurde, ehe in den großen Waschkesseln die Lauge erhitzt werden konnte. Da hat zuvor jahrhundertlang die im sogenannten „Bückefaß“ gesammelte Aschenlauge zur Wäsche gedient, die in den Grapen über der freien Feuerstelle erhitzt wurde. Doch unvermeidliches Geplörre weichte den Lehmboden auf, wie sollte da noch gespült werden? Die Kieselsteine im Lehm um den Herdbereich waren eine kleine Abhilfe, doch erst das wärmere Frühjahr ließ am Brunnen oder Bach das Waschen im größeren Maße zu.
So zog man dann die helleren kleinkarierten Bezüge über die Federbetten und „Höftpöhls“, die breiten Kopfkissen der alten Zeit, die in meiner Jugend im kalten Winter noch zu den Füßen lagen, wo die kurzen Zudecken nicht reichten. Nach diesen füllten kleinere Kopfkissenbezüge den Leinenschrank, kariert für den allgemeinen Gebrauch, dann wurden sie immer weißer und feiner mit Häkeleinsätzen und –spitzen für die Vorzeigeschlafstätten der Ehe– und Gästezimmer, die in den steinernen „Villen“ und Anbauten der Fachwerkhäuser vor und nach 1900 entstanden.
Die für Bettlaken gewebten Rollen wurden zu passender Länge zusammengenäht und wurden auch mit Namen versehen. Es gab sie in Baumwolle, Barchent, Halbleinen oder Reinleinen, auf denen es sich sehr kühl schlief. Dagegen waren die kattunenen Gewebe aus mittelfeinem Baumwollgarn angenehmer.
Da lagen auch fertig genähte Leinenhemden für Mann und Frau im Schrank und noch Rollen aus Leinen für diesen Zweck für sie und eine Kinderschar. In Erinnerung an diese Hemden sei gesagt, sie waren der Schrecken nach der Sonntagswäsche mit dem Hemdenwechsel in ihrer Steifheit und Kühle!!! Gleichfalls war das Rubbeln der von einer Woche Tragen verschmutzen Kragen und Ärmel der Männerhemden in der Wäsche eine Tortur.
Bunt und weiß gestapelt nahmen ebenfalls die Hand– und Geschirrtücher viel Platz im Schrank ein, sei es als Rollen gebleicht, oder gebrauchsfertig gesäumt und mit Aufhängern und Monogrammen versehen. Auch hier wieder in jedem Stück der sauber gestickte erste Buchstabe von Vor– und Nachnahme. Die Vielfalt der Muster und Materialien war groß. Zu schlicht kariert in rot und blau, auch gelb und grün, gab es Geschirrtücher in Leinenbindung und Twist. Nichts trocknet so gut wie ein „Ogendrellhandook“ (Augendrell), da kommt kein dickes Frotteetuch mit. Handtücher wurden auch derb gewebt aus Hede für das Abtrocknen der Hände nach der schmutzigen Arbeit. Sogar Messertücher kamen nach dem 1. Weltkrieg auf, als Messer und Gabeln um 1900 mehr und mehr die Eßgewohnheiten änderten. So klein wie die Taschentücher wurden sie nach Geschirrtücherart gewebt und sollten diese vorm Einschneiden beim Abtrocknen verschonen.
Taschentücher gehörten früher auch zum Webschatz, weiß mit erhabenen Fäden für den Sonntag oder farbig kariert für den Alltag. Damals blieb die Landschaft frei von Papiertüchern, denn keiner schmiss sein Tuch nach dem Schnäuzen fort, aber – in der Wäsche waren sie mit ihrer Glitschigkeit keine angenehmen Stücke!!
Zur Mitgift gehörten auch Leinen– und Dullakensäcke mit schönen schrägen oder queren Mustern und Farben und natürlich mit Namen! Sie waren aus dem groben Hedegarn, der Abfallfaser beim Hecheln des Flachses, gewebt und fanden für Saatkorn, Brotmehl und Aufbewahrungen Verwendung. Aber auch Stoffe für kleine Beutel für feines Mehl, Zucker, Salz und viele andere Lebensmittel, in größeren Mengen eingekauft, sind auf dem Handwebstuhl angefertigt worden.
Zu erwähnen ist unbedingt, dass den Dienstboten auf den Höfen früher zum Jahreslohn ein gewisses Ellenmaß an Leinen zustand, je nach Jahre der Dienstzeit, für Hemden und auch gewebte Stoffe für Kleider, Hosen und Jacken neben ein Paar Schuhe im abgemachten Vertrag.
Die Handwebstühle mit dem Trittbrett gibt es seit dem 13. Jahrhundert, wird berichtet. Die Versuche, Fäden durch Kreuzen zu einem haltbaren Gewebe zu fügen, sind in primitivster Art in der Jungsteinzeit nachweisbar und mit der Zeit immer besser gelungen. Die durchdachte Funktion der Handwebstühle seit dreihundert oder mehr Jahren mit ihrer Stabilität über Jahrhunderte hinweg, sind Meisterwerke.
Der hölzerne Handwebstuhl besteht aus vier starken Pfosten, die mit kräftigen Längs– und Querriegeln verbunden sind, sodass das Gefüge wie ein Bett aussieht. Die vorderen hohen Pfosten tragen einen Rahmen, der bis zur Hälfte der Anlage ragte zum Halten der Webgeschirre. Die hinteren Pfosten tragen den waagerechten Kettenbaum, der, in Höhe des Webvorganges vorn, drehbar als Rolle in dem eingeschnittenen Holz liegt. Darunter verbindet ein starkes Brett, wie eine Bank, die beiden stützen, das auch die Trethebel mit beweglicher Vorrichtung hält, die bis zur Sitzbank, für die Füße erreichbar, schweben.
Die Kammlade hängt schaukelnd zwischen den beiden Längsriegeln, die zum Festschlagen der Durchschussfäden nötig ist. Dahinter sind die Halterungen und Rollen für die Hebel, die durch Riemen mit den Fußtretern verbunden sind, angebracht. Durch die Hebel sind die Fäden der Webbette gezogen, die durch das Auf– und Abtreten sich für einen Durchschuss öffnen und teilen. In der Mitte des Gestells liegt der Leinenbaum, drehbar, für das fertige Gewebe. Mit Rasten ist er feststellbar, wie auch der Kettbaum, der für das Loslassen oder Anspannen mit einem langen Knüppel vom Sitz aus bedient werden kann. Ein Kniebaum davor lässt ungestörtes Treten zu und der Brustbaum über der Sitzbank ist wie eine Tischkante, über die der gewebte Stoff zum Leinenbaum geführt wird.
Die in Längsrichtung des Gewebes verlaufenden Fäden bilden die Kette, die kreuzend den Schuss und die Art der Verkreuzung heißt die Bindung. Die drei Grundbindungen des Webens sind die Leinwandbindung über einen Kettfaden, die einfachste, engste und festeste; die Köperbindung über zwei Kettfäden und die Atlasbindung über vier Kettfäden.
Hamfelds Lotti