Lacrimae Christi
Es war in alten Zeiten
ein schwäbischer Fiedelmann,
der kräftig strich die Saiten
und lustige Mären spann.
Mit Friederich dem Andern
ins Welschland zog er ein,
und kostete im Wandern
von einem jeden Wein.
Und als auf seinem Zuge er nach Neapel kam,
quoll ihm aus irdnem Kruge ein Tropfen wundersam.
Er trank mit durstgem Munde
und rief dem Wirt herbei:
„Viellieber, gebt mir Kunde,
was für ein Wein das sei.
Er rinnt mir alten Knaben
wie Feuer durchs Gebein;
von allen Gottesgaben
muss das die beste sein.“
Der dicke Kellermeister gab ihm die Antwort gern:
„Lacrimae Christi heißt er, denn Tränen sind des Herrn“.
Da überkam ein Trauern
den fremden Fiedelmann;
er dachte an den Sauern,
der in der Heimat rann.
Und betend sank er nieder,
den Blick empor gewandt.
„Herr, weinst du einmal wieder,
so wein im Schwabenland!“
Rudolf Baumbach 1840–1905
Lieber Burchard, zum Geburtstag ein Gedicht! Die alte Lotti hatte den Einfall, es Dir aus einem schönen alten Gedichtsband abzuschreiben. Du hattest bemerkt, dass Deine Oma diese Weinsorte im Hause trank, als eine Medizin. Wie kam denn eine einfache Bauersfrau zu diesem Getränk? Deine Oma war clever. Sie musste auf dem Bauernhof sparen, aber ein wenig genießen wollte sie doch. Früher kamen Firmenvertreter aller möglichen Branchen vorbei, denn ihre Waren kannte auf dem Lande niemand. So auch die Vertreter von Kellereien und Weinkontoren. Auf den Dörfern hat es immer irgendwelche Genießer gegeben und die spürten sie auf. Es gab Weinproben. Was´n Wunder, dass Oma Bösche auf „Lacrimae Christi“ stieß! Siehe die Verse oben!
Als 1937 am 14. November die Silberhochzeit meiner Eltern in Kleinborstel anstand, hat mein übersparsamer Vater je ein Fass Rot– und Weißwein bei einem Vertreter bestellt. Erich und ich haben den Wein auf Flaschen gezogen und als wir vor dem Fest Küche, Keller, Diele und Ställe weißten (wittschen!!), auch mal aus dem Keller einen Trunk genommen. Uns ist die viele Vorarbeit gar nicht schwer geworden und mit diesen, in Erinnerung, prächtigen Weinen, ist die Silberhochzeit der Eltern (mit Posaunenchor und Frauen, Nachbarn und Verwandten, eingeladen wurde nicht!) ein unglaublich vergnügtes, harmonisches Fest geworden.
Da hatte Vater sich was Ungewöhnliches einfallen lassen, und wir erlebten einen Menschen, der auch mal ganz anders sein konnte, als er sich immer zeigte. Zu Hause war er schweigsam, ein richtiger Patriarch, der bedrohlich schien und oft mit einer ledernen Klopppeitsche zuschlug. Dabei konnte er so humorvolle (aber auch sehr nachdenkliche) Vorträge, oft gereimt, bei Festen halten, die begeisterten. Er hat sie manchmal beim Mistfahren ausgedacht und erst später in ein Buch geschrieben (einige), das Homfelds Heiner in Verwahrung hat.
Deine Oma und mein Vater waren beide sehr eigenwillige und von sich selbst überzeugte Menschen, die sich gegenseitig nicht sehr mochten. Sie waren beide nie aus dem Haus gewesen und hatten nichts anderes kennengelernt und ihre Meinung, vielfach sehr verschieden, war die einzig richtige, die es fürs Leben gab. Wir Homfeld’s Kinder haben Vaters Ansichten in der Jugend respektieren müssen und wegen seiner großen Sparsamkeit auf vieles verzichtet, was den anderen Bauernkindern selbstverständlich war. Bruder Johann, früh von Hitlers Geist beseelt, scherrte aus, als er in Bremen die Hochschule besuchte. Er starb im Krieg im wahrsten Sinne für „Führer, Volk und Vaterland“. Wie Vater wirklich über alles dachte, blieb sein Geheimnis. Deine Oma war da doch etwas weicher und erzählte mir von der Liebe zu einem Mann als junges Mädchen, der aber nach Amerika (mit ihr) wollte, sie nicht. So hat sie nach dem plötzlichen Tod ihrer älteren Schwester den Loger Hof übernommen. Weil ein Mann dazu gehörte, fiel ihre Wahl auf den Postkutscher Hermann Bösche, den sie kennenlernte, wenn er die verschriebene Medizin aus der Hoyaer Apotheke ablieferte. Dein Großvater hat sich ihrem Regiment angepasst und die beiden haben eine Ehe in gegenseitiger Achtung und gemeinsamen Streben für den Hof und ihre Söhne geführt.
Deine Oma förderte den Wissenshunger ihres Ältesten, unser Vater ließ keinen Winterschulbesuch für Friedel zu, keine Lehrgänge für die Landwirtschaft und für uns Mädchen keine Kochschulen. Lieber Burchard, was ist das nun für ein Geburtstagsgeschreibe geworden!!
Lotti