Charlotte Homfeld
Am 10. September 2009 starb Charlotte Homfeld 88jährig in Martfeld, einem Dorf bei Verden/Aller, dessen Umfeld sie in ihrem langen Leben nur selten verlassen hat. Diese Webseite soll an sie erinnern und einige ihrer wichtigen Arbeiten zur Volkskunde und insbesondere zur Ernährung auf dem Lande dokumentieren. Mehrere ihrer Ausarbeitungen zur Nahrungsgeschichte sind schon länger auf der Internetseite von Slow Food Hamburg zu lesen. ‚Tante Lotti‘, wie sie bei uns in der Familie und im ganzen Dorf genannt wurde, hat sich ihr Leben lang immer wieder die Zeit genommen, Erfahrungen und Beobachtungen aus ihrer Umgebung aufzuschreiben, oft als Geschenk für ihre Neffen und Nichten oder auch ihre Großneffen. Angestachelt wurde ihre Produktivität durch die Chance, jeweils Beiträge zu liefern für eine Buchserie, die unter Beteiligung meines älteren Bruders Hartmut Bösche über die Geschichte des Dorfes Martfeld und seiner Ortsteile herausgegeben wurden. Man wurde auf sie als Autorin aufmerksam, und so wurde sie mit mit zunehmendem Alter immer häufiger angesprochen, Texte für Zeitungen und Broschüren zu schreiben.
Mit einem Brief ging es los
Meine Zusammenarbeit mit ihr begann, als ich noch Leiter des Hamburger Conviviums von Slow Food war. Sie schreib mir eines Tages einen Brief über das Hausschlachten. Dieser kam zustande, als sie einst unser Elternhaus einhütete, in dem inzwischen nur noch meine Mutter wohnte und diese im Krankenhaus lag. Und so saß sie allein in der Küche des großen Niedersachsenhauses und beschrieb, wie es früher zuging, wenn ein Schwein geschlachtet wurde. Anlass war vielleicht, dass ich sie zuvor über die Magenwurst ausgefragt hatte, eine köstliche regionale Spezialität, die man kaum irgendwo im Laden kaufen kann, die aber regelmäßig Bestandteil des Produktionsprogramms der Hausschlachter war. Dieser Brief war bereits so hervorragend geschrieben, dass ich ihn nur noch minimal verändern musste, um ihn dann unter die Geschichten auf der Slow Food Webseite einzureihen. Dieser Vorgang stachelte sie an. Sie wollte es nicht bei diesem Brief, dem Zufallsprodukt belassen, sondern setzte sich nun hin, um das Hausschlachten wirklich vollständig zu beschreiben, was den Bericht erheblich gegenüber dem ursprünglichen Brief verlängerte.
Versprechen einlösen
Tante Lotti war sehr stolz darauf, dass Ihr Text im Internet stand und nun auf der ganzen Welt gelesen werden konnte. Das motivierte sie, weitere Berichte über die Ernährung der Bauern im Hannöverschen zu schreiben. Für mich war es ein Problem, dass sie ihre Berichte von Hand schrieb, denn über einen PC oder nur eine Schreibmaschine verfügte sie nicht. Also musste ich ihre Texte alle abschreiben, um sie ins Netz stellen zu können. Nach einiger Zeit kam ich in Rückstand, der sich immer mehr vergrößerte. Aber ich sagte ihr zu, eines Tages alles ins Netz zu stellen. Bis zu ihrem Tode habe ich es nicht geschafft, aber mit dieser speziellen Webseite löse ich mein Versprechen ein posthum.
Stilistin
Tante Lotti hat nicht studiert, sie hat auch kaum große Literatur gelesen. Ihre Texte zeugen gleichwohl von einer präzisen Beobachtungsgabe und einer großen Fertigkeit, das Gesehene in Worte zu fassen und zwar so, dass man es gerne liest. Wir haben ihre Berichte fast unverändert übernommen und nur unwesentlich redigiert. Dazu muss man wissen, dass sie nur eine Art Mittelschule mit acht Schuljahren besucht hat und dass sie die längste Zeit ihres Berufslebens in der Landwirtschaft mitgearbeitet hat. Daneben war sie einige Jahre im Büro unserer Molkereigenossenschaft tätig und hat über längere Zeit einen Schreibwarenladen mit Lottoannahmestelle und Leihbibliothek geführt. Vor dem Hintergrund dieser Bildungsmöglichkeiten verdient ihre schriftstellerische Leistung Hochachtung.