Die Ernäh­rung auf dem Lande – Auf­zeich­nun­gen von Char­lotte Hom­feld aus Kleinenborstel

Kohl und Magen – ein Festessen

Bevor das Ein­we­cken von Fleisch­stü­cken mög­lich war, und ehe Bra­ten im oder auf dem Spar­herd gar­ten, nahm vor 100 und mehr Jah­ren der gefüllte Schwei­ne­ma­gen nach dem Schlach­ten den Sta­tus eines beson­de­ren Genus­ses auf den Bau­ern­hö­fen ein und behielt ihn.

Gefüllt wurde diese hie­sige Spe­zia­li­tät beim Wurt­ma­chen mit reich­lich rohem grob­ge­wür­fel­ten Fleisch aus der Schwei­ne­schul­ter, weil die­ses fes­ter und tro­cke­ner war, als Fleisch vom Nacken oder Schin­ken. Etwas Speck und viele Zwie­beln, eben­falls grob gewür­felt, kamen hinzu. Mit Hafer­grütze und Brühe aus dem Schlacht­kes­sel wurde das Geschnit­tene zu einem Brei ver­mengt, mit Salz und schwar­zem oder wei­ßem Pfef­fer (gemah­len) abge­schmeckt und in den gerei­nig­ten Schwei­ne­ma­gen gefüllt.

Sorg­fäl­tig abge­bun­den brauchte die­ser beim Wurt­ko­chen zwi­schen den ande­ren schnel­ler garen­den Würs­ten meh­rere Stun­den Gar­zeit. Wie alle Würste musste er im sie­den­den Was­ser stän­dig mit dem gro­ßen Holz­löf­fel oder der Schaum­kelle getaucht wer­den, damit keine tro­cke­nen Stel­len platzten.

Nach dem Abküh­len auf einer Stroh­un­ter­lage bekam der Magen nach Belie­ben Rauch zum Halt­bar­ma­chen. Umge­legte Stoff­strei­fen gaben den Wurst­bän­dern zusätz­li­chen Halt zum Auf­hän­gen in der Rauch­kam­mer oder unter dem Wiemen.

Die in der Herbst­schlach­tung meist von einem gro­ßen Schwein anfal­lende Magen­wurst war ein tra­di­tio­nel­les Fest­es­sen. Dazu lud man Freunde oder Ver­wandte zum 1. Weih­nachts­tag ein und wech­selte mit ihnen jähr­lich das Gastmahl.

Die Gela­de­nen kamen nach dem Kirch­gang mit der Pfer­de­kut­sche gefah­ren und blie­ben bis zur Däm­me­rung. Vor der Heim­fahrt genoss man noch Kaf­fee mit Butter-, Streu­sel– oder Wickel­ku­chen vom Weih­nachts­back­tag. Haus­töch­ter und, oder Mägde erle­dig­ten die not­wen­di­gen Arbei­ten im Stall und Haus und sorg­ten dafür, dass der zum Magen gehö­rige Grün– oder Braun­kohl pünkt­lich auf dem gedeck­ten Tisch in der „guten“ Stube stand.

Am frü­hen Mor­gen war der am Tage vor­her geschnit­tene Kohl mit kochen­dem Was­ser abge­brüht wor­den. Er wurde dann, aus­ge­drückt, auf die schon kochende Speck– oder Bauch­fleisch­stü­cke gesta­pelt. Frü­her nahm man zu die­sem Kohl­ko­chen gern einen eiser­nen Kes­sel aus der Zeit der offe­nen Herd­stel­len wegen sei­ner Größe, damit die Menge min­des­tens für zwei Tage in der Groß­fa­mi­lie reichte und den pral­len Magen fas­sen konnte.

Schon um neun Uhr kochte der Kohl leise vor sich hin. Zum Hei­zen musste Holz gleich­mä­ßig nach­ge­legt wer­den. Reich­lich gehackte Zwie­beln kamen mit dem Magen dann in den Topf. Die­ser brauchte lange Zeit zum Durch­hit­zen. Die Grütze schüt­tete man in der letz­ten hal­ben Stunde in genü­gend Brühe zum Durch­feuch­ten oben auf und ließ sie lang­sam quellen.

Um elf Uhr wurde der Kes­sel auf das hin­tere Herd­loch gescho­ben. Vorn soll­ten die geschäl­ten Kar­tof­feln im gro­ßen Topf vor zwölf Uhr gar wer­den. Nach halb­zwölf hol­ten zwei Per­so­nen den Magen mit Schaum­kelle und zwei Gabeln aus dem Kohl­kes­sel und hielt ihn auf einer Blech­schüs­sel im Bra­to­fen heiß. Nun konnte der Kohl durch­ge­rührt und abge­schmeckt werden.

In vor­ge­wärmte Schüs­seln wurde er zu Tisch gebraucht, wie auch der Magen, nun auf einer por­zel­la­nen Schüs­sel. Auf­ge­schnit­ten quoll dann Brühe und Fett heraus.

Beim Koh­les­sen war es üblich, die hei­ßen Salz­kar­tof­feln zuerst mit der Gabel auf den Tel­lern zu zer­drü­cken. Man füllte dann den Kohl dar­über und häufte zuletzt die Magen­wurst auf. Ein biss­chen durch­ge­rührt aß man alles mit dem Löf­fel, obwohl das Kohl­ge­richt nicht sup­pig war. Der heiße Magen­in­halt gab dem Kohl einen unver­gleich­li­chen Geschmack, den eine flei­schige Pin­kel­wurst nicht erreichte. Wer das Essen fet­ter liebte, konnte sich vom mit­ser­vier­ten Speck ein Stück auf dem Holz­brett­chen neben sei­nem Tel­ler mund­ge­recht zer­schnei­den und mit der Gabel davon neh­men oder über sein Essen streuen.

Ein Kohl­ge­richt schmeckte nur heiß sehr gut und zwang zum lang­sa­men und damit genuss­vol­lem Essen, die Magen­wurst schmeckte man heraus.

Zur nächs­ten Mahl­zeit wurde der Rest der Wurst in fin­ger­di­cke Schei­ben geschnit­ten und in Talg oder Schmalz von bei­den Sei­ten ange­bra­ten. So konnte der Kohl unter Rüh­ren erhitzt wer­den und brannte nicht an. Die gerös­te­ten Magen­stü­cke mit Haut schmeck­ten eben­falls köst­lich im auf­ge­wärm­ten Kohl.

N.B.: Ein Zuviel an Farce konnte in ein aus­ge­koch­tes Lein­tuch, Fli­cken oder Geschirr­tuch gefüllt und abge­bun­den im Kohl gegart wer­den. Diese Methode wird wegen Feh­len einer Magen­hülle heute noch aus­ge­übt. Man holt sich Fleisch und Speck vom Schlach­ter und mischt die nöti­gen Zuta­ten nach alter Art zum Brei und lässt den, im Tuch locker ein­ge­hüllt, lange genug auf dem Kohl mit­ko­chen. Auch Gehack­tes schmeckt statt Fleisch gut und ist nicht teuer.

Die Land­schlach­te­reien in unse­rem Ort bie­ten die nach altem Rezept gefüll­ten Schwei­ne­mä­gen zum Herbst und Win­ter in ihren Haus­lä­den und auf den Wochen­märk­ten der Umge­bung an. Sie sind immer noch ein Fest­es­sen, denn der Preis ist hoch für diese Spe­zia­li­tät unse­rer Region.

Ob Brannt­wein oder Wein­brand zum Essen gereicht wurde, war eine ethi­sche Ein­stel­lung der Haus­her­ren und wurde meist nach sei­nen Bedürf­nis­sen prak­ti­ziert oder weg­ge­las­sen. Aller­dings gab es viel Schnaps­bren­ne­reien in unse­rer Umge­bung und er wurde auch viel getrunken.

Auf­ge­schrie­ben Anfang Sep­tem­ber 2005 Von Char­lotte Homfeld