Kohl und Magen – ein Festessen
Bevor das Einwecken von Fleischstücken möglich war, und ehe Braten im oder auf dem Sparherd garten, nahm vor 100 und mehr Jahren der gefüllte Schweinemagen nach dem Schlachten den Status eines besonderen Genusses auf den Bauernhöfen ein und behielt ihn.
Gefüllt wurde diese hiesige Spezialität beim Wurtmachen mit reichlich rohem grobgewürfelten Fleisch aus der Schweineschulter, weil dieses fester und trockener war, als Fleisch vom Nacken oder Schinken. Etwas Speck und viele Zwiebeln, ebenfalls grob gewürfelt, kamen hinzu. Mit Hafergrütze und Brühe aus dem Schlachtkessel wurde das Geschnittene zu einem Brei vermengt, mit Salz und schwarzem oder weißem Pfeffer (gemahlen) abgeschmeckt und in den gereinigten Schweinemagen gefüllt.
Sorgfältig abgebunden brauchte dieser beim Wurtkochen zwischen den anderen schneller garenden Würsten mehrere Stunden Garzeit. Wie alle Würste musste er im siedenden Wasser ständig mit dem großen Holzlöffel oder der Schaumkelle getaucht werden, damit keine trockenen Stellen platzten.
Nach dem Abkühlen auf einer Strohunterlage bekam der Magen nach Belieben Rauch zum Haltbarmachen. Umgelegte Stoffstreifen gaben den Wurstbändern zusätzlichen Halt zum Aufhängen in der Rauchkammer oder unter dem Wiemen.
Die in der Herbstschlachtung meist von einem großen Schwein anfallende Magenwurst war ein traditionelles Festessen. Dazu lud man Freunde oder Verwandte zum 1. Weihnachtstag ein und wechselte mit ihnen jährlich das Gastmahl.
Die Geladenen kamen nach dem Kirchgang mit der Pferdekutsche gefahren und blieben bis zur Dämmerung. Vor der Heimfahrt genoss man noch Kaffee mit Butter-, Streusel– oder Wickelkuchen vom Weihnachtsbacktag. Haustöchter und, oder Mägde erledigten die notwendigen Arbeiten im Stall und Haus und sorgten dafür, dass der zum Magen gehörige Grün– oder Braunkohl pünktlich auf dem gedeckten Tisch in der „guten“ Stube stand.
Am frühen Morgen war der am Tage vorher geschnittene Kohl mit kochendem Wasser abgebrüht worden. Er wurde dann, ausgedrückt, auf die schon kochende Speck– oder Bauchfleischstücke gestapelt. Früher nahm man zu diesem Kohlkochen gern einen eisernen Kessel aus der Zeit der offenen Herdstellen wegen seiner Größe, damit die Menge mindestens für zwei Tage in der Großfamilie reichte und den prallen Magen fassen konnte.
Schon um neun Uhr kochte der Kohl leise vor sich hin. Zum Heizen musste Holz gleichmäßig nachgelegt werden. Reichlich gehackte Zwiebeln kamen mit dem Magen dann in den Topf. Dieser brauchte lange Zeit zum Durchhitzen. Die Grütze schüttete man in der letzten halben Stunde in genügend Brühe zum Durchfeuchten oben auf und ließ sie langsam quellen.
Um elf Uhr wurde der Kessel auf das hintere Herdloch geschoben. Vorn sollten die geschälten Kartoffeln im großen Topf vor zwölf Uhr gar werden. Nach halbzwölf holten zwei Personen den Magen mit Schaumkelle und zwei Gabeln aus dem Kohlkessel und hielt ihn auf einer Blechschüssel im Bratofen heiß. Nun konnte der Kohl durchgerührt und abgeschmeckt werden.
In vorgewärmte Schüsseln wurde er zu Tisch gebraucht, wie auch der Magen, nun auf einer porzellanen Schüssel. Aufgeschnitten quoll dann Brühe und Fett heraus.
Beim Kohlessen war es üblich, die heißen Salzkartoffeln zuerst mit der Gabel auf den Tellern zu zerdrücken. Man füllte dann den Kohl darüber und häufte zuletzt die Magenwurst auf. Ein bisschen durchgerührt aß man alles mit dem Löffel, obwohl das Kohlgericht nicht suppig war. Der heiße Mageninhalt gab dem Kohl einen unvergleichlichen Geschmack, den eine fleischige Pinkelwurst nicht erreichte. Wer das Essen fetter liebte, konnte sich vom mitservierten Speck ein Stück auf dem Holzbrettchen neben seinem Teller mundgerecht zerschneiden und mit der Gabel davon nehmen oder über sein Essen streuen.
Ein Kohlgericht schmeckte nur heiß sehr gut und zwang zum langsamen und damit genussvollem Essen, die Magenwurst schmeckte man heraus.
Zur nächsten Mahlzeit wurde der Rest der Wurst in fingerdicke Scheiben geschnitten und in Talg oder Schmalz von beiden Seiten angebraten. So konnte der Kohl unter Rühren erhitzt werden und brannte nicht an. Die gerösteten Magenstücke mit Haut schmeckten ebenfalls köstlich im aufgewärmten Kohl.
N.B.: Ein Zuviel an Farce konnte in ein ausgekochtes Leintuch, Flicken oder Geschirrtuch gefüllt und abgebunden im Kohl gegart werden. Diese Methode wird wegen Fehlen einer Magenhülle heute noch ausgeübt. Man holt sich Fleisch und Speck vom Schlachter und mischt die nötigen Zutaten nach alter Art zum Brei und lässt den, im Tuch locker eingehüllt, lange genug auf dem Kohl mitkochen. Auch Gehacktes schmeckt statt Fleisch gut und ist nicht teuer.
Die Landschlachtereien in unserem Ort bieten die nach altem Rezept gefüllten Schweinemägen zum Herbst und Winter in ihren Hausläden und auf den Wochenmärkten der Umgebung an. Sie sind immer noch ein Festessen, denn der Preis ist hoch für diese Spezialität unserer Region.
Ob Branntwein oder Weinbrand zum Essen gereicht wurde, war eine ethische Einstellung der Hausherren und wurde meist nach seinen Bedürfnissen praktiziert oder weggelassen. Allerdings gab es viel Schnapsbrennereien in unserer Umgebung und er wurde auch viel getrunken.