Die Ernäh­rung auf dem Lande – Auf­zeich­nun­gen von Char­lotte Hom­feld aus Kleinenborstel

Als die Kühe noch von Hand gemol­ken wurden

Je nach­dem, wie das Wet­ter im Früh­jahr den Gras­wuchs geför­dert oder gehin­dert hatte, war der­Aus­trieb des Milch­viehs auf die Kuh­wei­den frü­her oder spä­ter im Mai. Die Kühe blie­ben bis zum Herbst ganz­tags drau­ßen und hat­ten meis­tens im Win­ter gekalbt.

Das war für Vieh und Mel­ker eine große Umstel­lung. Das Füt­tern und aus­mis­ten fiel weg, aber dafür kam das Mel­ken drau­ßen bei jedem Wind und Wet­ter. Das war ein Gang bis zu drei­mal am Tag in die Wei­den, die bei uns aber nur, einen Feld­weg ent­lang, gut 500 Meter ent­fernt lagen.

In mei­nen Kin­der­jah­ren hat­ten wir außer den 20-Lier-Eimern für das Joch, eine 60 Liter große Kanne für das Sam­meln der gemol­ke­nen Milch, die auf einer zwei­räd­ri­gen Karre trans­por­tiert wurde. das reichte für die sechs bis sie­ben Kühe, die wir hat­ten. Diese Kanne konnte nur mit zwei Per­so­nen ent­leert wer­den, und auch das Rei­ni­gen war eine Stra­paze. Durch Anhe­ben der Deich­sel ließ sich das Gefährt bewe­gen und wir zogen mit zwei Per­so­nen oder hat­ten unse­ren Hund mit vor­ge­spannt. Der musste wäh­rend der Melk­zeit ruhig davor lie­gen und bekam zum Lohn etwas Milch zum Schle­cken. Das Mel­ken im Allein­gang dau­erte eine Weile, denn die Kühe gras­ten oft weit aus­ein­an­der und der Eimer musste jedes Mal mit einem Gang zum Milch­wa­gen ent­leert wer­den. Anschlie­ßend kam das Abwa­schen des Mel­kei­mers und das Ein­fül­len von Trink­was­ser für die Kühe aus der Kuhle oder der Wätern jen­seits des Weges. Zwei Bot­ti­che muss­ten gefüllt wer­den und oft tran­ken sich die Kühe wäh­rend des Ein­fül­lens ein­mal satt. Hat­ten wir ab 1929 im neuen Vor­der­haus schon eine Selbst­tränke im Kuh­stall, so fehlte in den Wei­den jede Pumpe. Nur Was­ser­lö­cher und kleine Tei­che dien­ten zum Trän­ken und die Grä­ben nächst den Wei­den waren in tro­cke­nen Som­mern oft sehr knapp gefüllt.

Mit sechs Jah­ren habe ich schon Mel­ken gelernt, das war frei­wil­lig. Mit 14 Jah­ren musste ich mit­tags mit Joch und Eimer zum Mel­ken, weil ein paar Kühe etwas mehr Milch her­ga­ben. Das war in der Hitze eine Stra­paze, wenn (ach!!) die Kühe in der Kuhle stan­den, um den Brem­sen zu ent­ge­hen. Hatte man sie end­lich aus dem Teich raus, tropfte nas­ser Sand vom Euter herab und musste ent­fernt wer­den. Schon brummte eine Fliege, und die Kuh suchte erneut Zuflucht im Was­ser. War das ein Segen, als diese (dre­ckige!) Was­ser­stelle ein­ge­zäunt wurde. Das Mel­k­er­geb­nis war an sol­chen Tagen mini­mal, aber der Gang musste sein, so streng war es früher.

Sonst war eine Kuh drau­ßen sau­be­rer als im Stall. Das Säu­bern vorm Mel­ken war ein­fa­cher, aber sie stand unan­ge­bun­den in der Weide. Dass Kühe sich bereit­wil­lig hin­stell­ten und den Mel­ker ruhig neben sich hocken lie­ßen und auch das Euter durch rich­tige Bei­stel­lung frei­ga­ben, hat mich von Kind an ver­wun­dert. Sie gaben den wei­ßen Saft gerne her, weil er auf die Milch­drü­sen drückte und beka­men Lob und Strei­cheln, wenn sie brav den Melk­vor­gang lang still stan­den und nicht so schlimm mit dem Schwanz umher geschla­gen hat­ten. Das tat sehr weh, wenn er das Gesicht beim Mel­ken traf. Nur die jun­gen Kühe, die zum ers­ten Mal nach dem Kal­ben Wei­de­gang hat­ten, waren manch­mal „Bies­ter“. Sie woll­ten nicht still­ste­hen, schlu­gen nach dem Mel­ker und auch den Eimer um, was sie dann noch mehr in Panik brachte. Da musste dann schon eine kräf­tige zweite Per­son das Tier mit ein­fan­gen und es fest­hal­ten. Das kam auch vor, wenn eine Kuh sich an den Stri­chen (Zit­zen) ver­letzt hatte und Schmer­zen beim Zie­hen spürte. Zum Ver­zwei­feln war der Melk­gang, wenn Gewit­ter­luft und Brem­sen die Kühe beun­ru­hig­ten. Wie ein wild gewor­de­ner Hau­fen rann­ten sie quer durch die Weide, dass die Milch dabei aus den Zit­zen spritzte. Stan­den sie mal kaum zum Mel­ken bereit, ließ das Brum­men einer Fliege („Gewit­ter­bol­zen“) den Schwanz steil hoch stei­gen. Mit einem Satz war die Kuh über den Eimer getre­ten und ver­schwun­den. „De Keih birst“ („Die Kühe haben das Ren­nen“) war gleich­be­deu­tend mit wenig Milch­er­trag und Anzei­chen für ein kom­men­des Gewit­ter. Beim Mel­ken vom Gewit­ter über­rascht zu wer­den, war mit Angst ver­bun­den. Kühe, die unter Bäu­men Schutz vor Regen und Hagel such­ten, wur­den nicht sel­ten vom Blitz erschla­gen, und ebenso Mel­ke­rin­nen, die unter den Kühen saßen.

An Tagen, wo nicht zusätz­li­che Feld­ar­beit den Tages­ab­lauf bestimmte, konnte das mel­ken mit fried­li­chen Kühen gro­ßer Spaß sein. Mit einem Sche­mel war das eine Arbeit im Sit­zen und ließ schon mal ein Lied nach dem ande­ren über die Lip­pen kom­men, was auch den Kühen behagte. Nun, gesun­gen wurde in jener Zeit ohne Radio und Fern­se­hen so wie so noch viel. Aller­dings ist das Hand­mel­ken keine leichte Arbeit gewe­sen. Die ers­ten Milch­strah­len kamen in die Hand zum Prü­fen, ob die Milch ein­wand­frei war. Dann nahm man Melk­fett, was das Zie­hen am Euter erleich­terte und es pflegte. Da war auch bei jeder Kuh die Anstren­gung des Mel­kens nach Euter­lage, Zit­zen­größe und deren Durch­läs­sen grund­ver­schie­den und man hatte seine „Lieb­linge“ dafür. Da war das Aus­wäh­len der Tiere beim Mel­ken zu zweien schon ein Streit­thema. Aber das wurde vor­her gerecht gere­gelt und war mor­gens, wenn meist zu zweit gemol­ken wurde, ohne Worte abge­tan, denn jeder molk „seine“ Kühe.

Auch mit der Milch dann zu Hause war das eine Team-Arbeit. Das Durch­sie­ben der Milch aus der gro­ßen Kanne durch ein Sieb­tuch musste vor­sich­tig gesche­hen. Das Ein­schüt­ten in den Zen­tri­fu­gen­be­häl­ter zur sofor­ti­gen Durch­dre­hen der Milch, weil sie warm bes­ser ent­rahmte, musste eben­falls sorg­fäl­tig sein. Wenn alles Milch­ge­schirr dann abge­wa­schen war, gab es das erste Frühstück.

Als die 20-Liter-Kannen und die Anfuhr zur Mol­ke­rei auch bei uns end­lich prak­ti­ziert wur­den, fuh­ren wir mit den Kan­nen im Hand­wa­gen zum Mel­ken. Da wurde die gemol­kene Milch gleich durch ein Sieb, nun mit aus­wech­sel­ba­rer Fil­ter­ein­lage, in die Kanne geschüt­tet. Da war dann zu Hause nur noch das Küh­len die­ser Kan­nen erfor­der­lich und das Abwa­schen von Sieb und Eimern, hier oder auf der Weide.

Der Herbst brachte Dun­kel­heit und Nebel. Da war mor­gens um fünf Uhr, und auch eine Stunde spä­ter, das Auf­fin­den der Kühe schwer, die meist noch irgendwo an nach ihrem Instinkt aus­ge­such­ten geschütz­ten Stel­len lagen. das Geräusch vom Rülp­sen und das „Flan­tern“ einer auf­ge­stan­de­nen Kuh wies uns die Rich­tung. Dass der Fuß dann oft­mals in etwas sehr wei­ches trat, gehörte dazu. Abends war es noch hel­ler, aber das Heim­ge­hen ohne Lam­pen, wie am Mor­gen, fand im Dun­kel auf dem „Patt­weg“ (Fuß­weg) neben dem Sand­weg statt. Man begeg­nete höchs­tens ande­ren Mel­ke­rin­nen, und die waren vom „Klö­tern“ des Wagens gewarnt und es gab keine Zusammenstöße.

Es gab aber nach dem Umtrei­ben in den Kuh­wei­den im Herbst noch wei­tere Wege, in das Nach­gras der Heu­wie­sen. „Maase“ hieß sie bei uns, an der gro­ßen Forst „Hoyaer Weide“ gele­gen. Da gab es viel Brem­sen, da gab es Stör­che, denn die Wiese war feuch­ter, da gab es Hecken von Kopf­wei­den und damit viel Zecken, vor denen wir uns frü­her nicht fürch­te­ten. Sie hin­gen oft in Dau­men­größe am Euter und wir zer­drück­ten sie.

Es gab aber auch Fahr­ten zum weit ent­fern­ten „Doden­bruch“ an der Grenze nach Hoyer­ha­gen, wo die Rin­der wei­de­ten. War das Gras knapp gewor­den, kamen auch die Kühe, mit Hin­trei­ben, für ein paar Wochen auf die „Große Weide“. Da musste man frü­her auf­ste­hen, um den Milch­wa­gen nicht zu ver­pas­sen. Es gab vor dem 2. Welt­krieg auch schon die Vor­rich­tung, vorn am Fahr­rad zwei Milch­kan­nen anzu­hän­gen. War der Milch­er­trag aber höher, wurde der alte Kut­sch­wa­gen genom­men. Der hin­tere Sitz war zur Lade­flä­che gemacht wor­den und bot Platz für alles Melk­zeug. Wenn die Pferde keine Pfug– oder andere Feld­ar­bei­ten zu tun hat­ten, wurde die Zeit zu die­sen Melk­fahr­ten wahr­ge­nom­men, und das war sehr bequem. Unvor­stell­bar, dass meine Tan­ten einst diese lan­gen Wege drei Mal am Tag zu Fuß und mit Joch und den schwe­ren Eimern mit Deckeln gegan­gen sind!! Und meine Mut­ter erzählte, wie sie noch erlebte, dass Mel­ke­rin­nen mit dem Eimer auf dem Kopf, durch ein Ring­kis­sen geschützt, stri­ckend die hol­pe­ri­gen Wege in den Bruch zum Mel­ken gegan­gen sind, und das war von ihrem Hei­mat­ort Wechold kilo­me­ter­weit entfernt.

Mel­ken war schön, wenn es nicht don­nerte, reg­nete oder stürmte oder die ers­ten Fröste die Fin­ger erstar­ren lie­ßen. Da freute man sich auf das Ein­bin­den. Das war dann wie­der ein ganz ande­res Mel­ken im Stall. Da stan­den die Kühe in der Reihe ange­bun­den mit dem Kopf zur Diele und Fut­ter­krippe. Über die hin­weg und durch die Stall­bäume hin­durch stieg man mit dem Sche­mel, Eimer, Putz­tuch und Melk­fett, das man sich an den Sche­mel klebte.

Das Füt­tern und Aus­mis­ten war Män­ner­sa­che in der Zeit der Feld­ruhe. Aber das vierte Mel­ken von den frisch gekalb­ten Kühen mit den gro­ßen Eutern abends um 10 Uhr war immer die Arbeit von Frauen. Umzie­hen nach der Gemüt­lich­keit der Hand­ar­beit in der Wohn­stube, Mel­ken, Abwasch von Sieb und Eimer, oft auch Käl­ber trän­ken nach dem Mel­ken, wäre heute eine Zumu­tung, damals aber eine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Die Kühe bei uns kalb­ten meist in den Stall­mo­na­ten. So konnte man das Vieh bes­ser beob­ach­ten und sie brach­ten beim Aus­trieb einen zwei­ten Schub an Milchleistung.

Wir hat­ten aber ein­mal vor Weih­nach­ten fünf tro­cken­ste­hende Kühe, wie das vier Wochen vor dem Kal­ben nötig war, und nur noch eine Kuh gab etwas Milch. Da war bei Mut­ter Not für die Fett­ver­sor­gung im Haus­halt, denn zuge­kauft wurde damals nichts. Für Bra­un­ku­chen und die vie­len But­ter­ku­chen zu Weih­nach­ten sollte gespart wer­den. So gab es „Pan­nen­bod­der“ aus Mehl, Milch (Was­ser) und ein paar Eiern. Das schmeckte mor­gens warm auf tro­cke­nem Schwarz­brot. Das erste Schlach­ten ver­half mit Grie­ben­schmalz und Knipp zum fet­ti­ge­ren Genuss am Mor­gen. Gefrüh­stückt wurde im Win­ter nur ein­mal. Man stand spä­ter auf und der Mit­tags­schlaf fiel wegen des frü­he­ren Fei­er­abends auch aus. Am Nach­mit­tag gab es Grau­brot mit Mar­me­lade, da war But­ter nötig, denn Mar­ga­rine wurde nicht als Brot­auf­strich gekauft. Abends waren Brat­kar­tof­feln und heiße Milch­suppe das Win­ter­es­sen. Mit fünf frischmel­ken­den Kühen ist es dann noch ein „fet­ti­ges Fest“ gewor­den. Es war auch eine Aus­nahme. Aber wir Frauen hat­ten Weih­nach­ten nun viel zu mel­ken und woll­ten abends doch gern mal aus­ge­hen. Sogar das Dienst­mäd­chen war um 10 Uhr zur Stelle, wenn abends das Mel­ken anstand. Wir haben uns abge­wech­selt, und so ging es zufriedenstellend.

Unser Kuh­stall war nach dem Neu­bau des Vor­der­hau­ses 1929 nicht mehr so eng wie zuvor in dem 200jährigen Fach­werk­haus. Er war beque­mer zum Aus­mis­ten mit zwei Klap­pen zum Mist­hau­fen und zum Mel­ken und Ein­streuen der nicht mehr so eng ste­hen­den Kühe. Darf ich geste­hen, dass wir die­sen Ort auch gern zum Ver­rich­ten des „klei­nen Geschäf­tes“ benutzt haben, wenn uns im Win­ter der Gang über den Hof zum „Klo“ im Schwei­ne­stall zu weit und zu kalt war? Da war es bei den war­men Kuh­lei­bern gemüt­li­cher und sie stör­ten sich nicht beim Lie­gen oder Ste­hen an die­sem Besuch, wo ja dort sowieso auch ihre „Erleich­te­rung“ stattfand.

Wenn ein Milch­er­zeu­ger von heute die­sen Bericht liest, wird er nur Kopf­schüt­teln für die frü­he­ren Melk– und Auf­stal­lungs­me­tho­den übrig haben. Mit den Mol­ke­reien und der Ablie­fe­rungs­pflicht für die Milch kamen schon damals höhere Ansprü­che an Rein­heit, Fri­sche und Hygiene, das sich beim Maschi­nen­mel­ken stei­gerte und beim heu­ti­gen „Com­pu­ter­mel­ken“ anspruchs­voll ist. Wir haben aber in unse­rer Zeit so gemol­ken und das Vieh so ver­sorgt, wie es mög­lich war und waren gewiss schon viel fort­schritt­li­cher als die Gene­ra­tio­nen vor uns. Und das glaubt wohl jede Gene­ra­tion, die der ande­ren folgt! Stau­nens­wert ist dabei, dass den­noch oft auf uralte Metho­den zurück­ge­grif­fen wird, Sie haben und hat­ten sich bewährt.

Die Milch­ver­wer­tung und das But­tern in der Handmelkzeit

Vom Mel­ken mit der Hand ist oben berich­tet wor­den. Was in mei­ner Jugend­zeit danach aus der gewon­ne­nen Milch wurde, soll hier beschrie­ben werden.

Das Abhe­ben oder Abpus­ten des „Flotts“ (Rahm) von den Milch­sat­ten war bald nach dem 1. Welt­krieg vor­bei, zumin­dest bei Betrie­ben mit meh­re­ren Kühen. Milch­zen­tri­fu­gen waren auf­ge­kom­men und trenn­ten mit ihren schnel­len Umdre­hun­gen per Hand oder Strom den Rahm von der Voll­milch zur Mager­milch durch je einen Ablauf aus dem Sepe­ra­tor. Da es in unse­rem Haus die Elek­tri­zi­tät schon seit dem 1. März 1914 gab und ein Motor in der Wasch­kü­che Was­ser in ein Bas­sin für die Selbst­tränke der Milch­kühe an der Diele pumpte, wurde die­ser Motor auch für den Antrieb der Zen­tri­fuge gebraucht. Nur bei Strom­aus­fall wurde mit Hand­kraft durchgedreht.

Wenn diese fort­schritt­li­che Ein­rich­tung der Milch­tren­nung eine große Hilfe war, nahm sie den­noch viel Zeit und Mühe der Erwach­se­nen in Anspruch. Als Klein­kin­der, und auch spä­ter, waren wir immer irgend­wie in diese Arbeit mit ein­be­zo­gen, weil die Mut­ter damit zu sehr beschäf­tigt war.

Auch der Rahm aus der Zen­tri­fuge musste in Stein­töpfe solange säu­ern, bis er zum But­tern taugte. So stan­den die Töpfe im Som­mer im Kel­ler und im Win­ter in der war­men Küche.

Das Käl­ber­trän­ken war eine der ers­ten Arbei­ten nach dem Mel­ken, da die ganz jun­gen Tiere noch die kuh­warme Voll­milch der Mut­ter beka­men, die nach und nach durch Mager­milch ersetzt wurde. Die grö­ße­ren Käl­ber beka­men reine Mager­milch, diese zur Ent­wöh­nung mit immer mehr Was­ser gemischt.

Nun blieb bei gutem Milch­er­trag noch ein gut Teil Mager­milch übrig. Zum Trin­ken stand immer in einem Eimer Mager­milch in der Küche, wo sich jeder nach Belie­ben mit einer Kelle bediente. Dann kamen meh­rere Töpfe mit Mager­milch an den Her­d­rand zum „Käsen“. Ein klei­ner Schuss But­ter­milch half in kal­ten Jah­res­zei­ten zum Gelin­gen. Von dem Quark brauch­ten wir viel. Immer stan­den meh­rere Durch­schläge mit abtrop­fen­der Molke im oder auf dem Küchenschrank.

Mor­gens gab es fein gerühr­ten Quark mit Zucker als Brei zum Brot­be­lag neben But­ter, Schmalz und Sirup. Wir Kin­der löf­fel­ten ihn von unse­ren zuge­teil­ten Tel­lern. Zum zwei­ten Früh­stück gab es neben Wurst, und wenn es nicht zum Feld gebracht wer­den musste, den Schicht­käse. Da war der Quark abwech­selnd mit sau­rer und etwas Küm­mel in ein spe­zi­el­les Heck ein­ge­schich­tet und gestürzt wor­den. Stipp­käse gab es ab und an mit Früch­ten als Nach­tisch am Mit­tag und am Abend war im Som­mer nach den Brat­kar­tof­feln das Löf­feln von Käse (wie wir den Quark nur nann­ten) und Milch gang und gäbe. Das waren frü­her immer nur die mage­ren Sor­ten und schmeck­ten den­noch gut.

Zum Koch­käse war der Quark dann in Beu­teln tro­cke­ner gepresst wor­den und in Schüs­seln gerie­ben. Die stan­den win­ters oft oben auf dem Stu­ben­schrank in der Wärme und zeig­ten mit ihrem Geruch die Reife des Quarks an. Diese zähe Masse wurde mit etwas Milch und mehr oder weni­ger But­ter, Salz und Küm­mel zu einem lecke­ren Brot­auf­strich gekocht, der in klei­nen Schüs­seln erkal­tete. Wenn Besuch kam, wurde aus küh­lem fri­schem Rahm Schlag­sahne für die üppi­gen Tor­ten geschla­gen, was frü­her ohne Kühl­schrank im Som­mer oft schlecht gelin­gen wollte. Für den Sonn­tag­abend gab es für jeden Haus­be­woh­ner ein Halb­li­ter­glas­schäl­chen voll dicker Voll­milch mit Schwarz­brot und Zucker und in der Heu­zeit konn­ten wir so einen Lecker­bis­sen manch­mal noch abends nach dem Baden­ge­hen im ent­fernt gele­ge­nen Kanal genießen.

Wenn noch Mager­milch übrig blieb, ging sie, wie auch die Molke, in den Schwei­ne­stall zur Ferkelfütterung.

Die Zen­tri­fuge erhielt nach jedem Gebrauch eine gründ­li­che Rei­ni­gung mit hei­ßem Was­ser und dem damals gebräuch­li­chem „IMI“ Das galt beson­ders für die Schleu­der­be­cher, die in der Trom­mel anein­an­der saßen und wo sich gerne Schmutz­par­ti­kel absetz­ten. Die durf­ten beim Abwasch nicht durch­ein­an­der gebracht wer­den und kamen auf einem spe­zi­el­len Rohr ins Was­ser und trock­ne­ten dar­auf locker über dem Herd. Wenn der Motor auch viel Kraft beim Durch­dre­hen der Milch sparte, so erfor­derte das Zer­le­gen, Rei­ni­gen und wie­der Zusam­men­bauen der Zen­tri­fuge viel Arbeit und Zeitaufwand.

Nun kam aber noch das But­tern. Es gab zwar schon in unse­rem Nach­bar­ort Schwarme seit 1889 eine Mol­ke­rei. Auch unser Kirch­dorf Mart­feld hatte eine seit 1908. Mein Vater war abso­lut nicht für diese gemein­schaft­li­chen Unter­neh­mun­gen. So musste meine Mut­ter lange Jahre die schwere Arbeit des But­terns ver­rich­ten, denn dafür fühlte sie sich ver­ant­wort­lich. Der Zeit­punkt für die Reife des Rahms ver­langt Fein­ge­fühl. Nun wurde das meter­hohe höl­zerne But­ter­fass, je nach Jah­res­zeit, mit hei­ßem oder kal­tem Was­ser aus­ge­spült und dann der Rahm hin­ein­ge­schüt­tet. Mit gleich­mä­ßi­gem Stamp­fen wurde der dicke Stiel mit dem geloch­ten Brett in Größe des Fas­ses auf und ab bewegt, bis sich die But­ter­kü­gel­chen von der But­ter­milch trenn­ten. Das konnte eine halbe Stunde bis zu Stun­den dau­ern, wenn im Som­mer bei hei­ßem Wet­ter die Fett­par­ti­kel nicht klum­pen woll­ten. dann wurde kal­tes Was­ser zuge­gos­sen, im Win­ter auch mal hei­ßes, und die But­ter­milch schmeckte dann wäss­ri­ger, die in vie­len Vari­an­ten doch auch ein wich­ti­ges und lecke­res Nah­rungs­mit­tel war und den Durst gut löschte.

Mein tech­nisch pfif­fi­ger zweit­äl­tes­ter Bru­der, der als Schü­ler schon meh­rere Stabilbaukasten-Wettbewerbe gewon­nen hatte, erleich­terte Mut­ter in den ers­ten drei­ßi­ger Jah­ren das But­tern mit einer Trans­mis­sion, vom Motor der Pumpe und Zen­tri­fuge abge­lei­tet, durch eine mecha­ni­sche Vor­rich­tung zu Auf– und Abhe­ben des But­ter­stamp­fers. Die war auch für den höl­zer­nen Wasch­bot­tich brauch­bar, der vor­her auch manu­ell betrie­ben wurde.

Das war schon ein Kräf­te­spa­ren für Mut­ter, die die But­ter­her­stel­lung nicht gern aus der Hand gab. Nach dem Stamp­fen und Her­aus­ho­len der But­ter­stück­chen wurde die But­ter­milch abge­gos­sen zur Auf­be­wah­rung. Nun kam das Kne­ten der wäss­ri­gen But­ter in Holz­mol­len, die auf einer Seite einen ein­ge­schnitz­ten Aus­guss zum Ent­fer­nen der Molke hat­ten. Es war eine Kunst, die But­ter mit dem brei­ten höl­zer­nen Knet­löf­fel fest­zu­hal­ten, damit die beim Aus­gie­ßen nicht raus­rutschte. Die­ser Löf­fel drückte dann beim Kne­ten so lange durch die But­ter­masse, bis keine Trop­fen mehr her­aus­tra­ten. Dann wurde zwecks bes­se­rer Halt­bar­keit noch etwas Salz hin­ein­ge­kne­tet. Hatte sie nun end­lich die rich­tige Beschaf­fen­heit, wurde für den Haus­halt der nötige Teil abge­nom­men und der Rest wie ein Brot geformt, gewo­gen und mit Ker­ben der Pfunds­an­zahl ver­se­hen. Der blieb im Kel­ler in der But­ter­molle, bis der But­ter– und Eier­händ­ler ihn abholte und in dickes Per­ga­ment­pa­pier gepackt hatte. Das war ein völ­lig freier Han­del ohne Abspra­che. Mut­ters But­ter war immer sehr begehrt und sie blieb nie damit sit­zen. Die Händ­ler, die zum Bre­mer Wochen­markt fuh­ren, schau­ten wöchent­lich vor­bei. Für unsere Mut­ter brach­ten sie das Haushaltsgeld.

Den­noch hat Mut­ter sich lange mit der But­te­rei quä­len müs­sen.. Als nach 1934/35 die Zwangs­be­wirt­schaf­tung der Milch­er­zeu­gung erfolgte, dul­dete mein Vater nur die Lie­fe­rung von erst 20, dann höchs­tens 40 Liter Milch von unse­ren 6 – 7 Kühen. Mut­ter blieb die Ver­ar­bei­tung der rest­li­chen Milch, die das nicht auf­brachte, was die Mol­ke­rei her­aus holte. Es kam auch bald ein Straf­be­fehl für mei­nen Vater wegen der Nicht­lie­fe­rung der Milch, der ihm aber beim nächs­ten „Führer-Geburtstag“ erlas­sen wurde, weil er nun das Lie­fern der gan­zen Milch­pro­duk­tion zuließ. Mut­ter kne­tete in die But­ter der Mol­ke­rei Salz, so schmeckte sie schon mehr nach selbst­ge­mach­ter, und Vater war zufrie­den. Zufrie­den war auch Mut­ter mit der Arbeits­er­leich­te­rung und Fül­lung des Haus­halts­beu­tels durch den bes­se­ren Aus­zah­lungs­be­trag der Mol­ke­rei. Nur in den Kriegs­jah­ren, als es alles auf Zutei­lung gab, war Mut­ter sehr bestrebt, aus „Biest­milch“, das ist die erste Milch nach dem Kal­ben der Kühe, die wegen der Ver­kle­bung der Mol­ke­rei­zen­tri­fu­gen einige Tage nicht gelie­fert wer­den durfte, gold­gelbe But­ter zum Kochen und zum Backen zu zau­bern. So saß sie, die so bange dem Ein­marsch der Eng­län­der ent­ge­gen­sah, see­len­ru­hig in einem abge­le­ge­nen Raum und drehte einen Sah­ne­zu­be­rei­ter zur Her­stel­lung von ein biss­chen But­ter. Das war, als am 7. April 1945 nach­mit­tags die Rohre der Pan­zer auf unser Dorf gerich­tet waren und auch ein Haus in Brand geschos­sen wurde.

Ab die­sem Tag ging das Zen­tri­fu­gen und But­tern für kurze Zeit wie­der rich­tig los, weil die Mol­ke­rei den Betrieb ein­stellte. Die Zen­tri­fu­gen waren plom­biert, unser Nach­bar hatte eine in Funk­tion. Also schlepp­ten wir die Milch über den Zaun und nichts war mehr zu schwer und zu läs­tig. Da wurde nach den Bom­ben­näch­ten eine kurze Zeit üppig gelebt, wie nie zuvor, bis die Besat­zungs­macht die Ablie­fe­rung wie­der regelte und alles noch knap­per als vor­her wurde.

Schon 10 Jahre nach die­ser Zeit erlebt die Milch­er­zeu­gung und –ver­ar­bei­tung soviel Moder­nes und die Mecha­ni­sie­rung, dass die Zeit des Hand­mel­kens, der Milch­ver­wer­tung und Ver­mark­tung total rück­stän­dig erscheint.

Char­lotte Homfeld

[dl url=““ title=„Download Text als pdf“ desc=„Als die Kühe noch von Hand gemol­ken wurden“]