Als die Kühe noch von Hand gemolken wurden
Je nachdem, wie das Wetter im Frühjahr den Graswuchs gefördert oder gehindert hatte, war derAustrieb des Milchviehs auf die Kuhweiden früher oder später im Mai. Die Kühe blieben bis zum Herbst ganztags draußen und hatten meistens im Winter gekalbt.
Das war für Vieh und Melker eine große Umstellung. Das Füttern und ausmisten fiel weg, aber dafür kam das Melken draußen bei jedem Wind und Wetter. Das war ein Gang bis zu dreimal am Tag in die Weiden, die bei uns aber nur, einen Feldweg entlang, gut 500 Meter entfernt lagen.
In meinen Kinderjahren hatten wir außer den 20-Lier-Eimern für das Joch, eine 60 Liter große Kanne für das Sammeln der gemolkenen Milch, die auf einer zweirädrigen Karre transportiert wurde. das reichte für die sechs bis sieben Kühe, die wir hatten. Diese Kanne konnte nur mit zwei Personen entleert werden, und auch das Reinigen war eine Strapaze. Durch Anheben der Deichsel ließ sich das Gefährt bewegen und wir zogen mit zwei Personen oder hatten unseren Hund mit vorgespannt. Der musste während der Melkzeit ruhig davor liegen und bekam zum Lohn etwas Milch zum Schlecken. Das Melken im Alleingang dauerte eine Weile, denn die Kühe grasten oft weit auseinander und der Eimer musste jedes Mal mit einem Gang zum Milchwagen entleert werden. Anschließend kam das Abwaschen des Melkeimers und das Einfüllen von Trinkwasser für die Kühe aus der Kuhle oder der Wätern jenseits des Weges. Zwei Bottiche mussten gefüllt werden und oft tranken sich die Kühe während des Einfüllens einmal satt. Hatten wir ab 1929 im neuen Vorderhaus schon eine Selbsttränke im Kuhstall, so fehlte in den Weiden jede Pumpe. Nur Wasserlöcher und kleine Teiche dienten zum Tränken und die Gräben nächst den Weiden waren in trockenen Sommern oft sehr knapp gefüllt.
Mit sechs Jahren habe ich schon Melken gelernt, das war freiwillig. Mit 14 Jahren musste ich mittags mit Joch und Eimer zum Melken, weil ein paar Kühe etwas mehr Milch hergaben. Das war in der Hitze eine Strapaze, wenn (ach!!) die Kühe in der Kuhle standen, um den Bremsen zu entgehen. Hatte man sie endlich aus dem Teich raus, tropfte nasser Sand vom Euter herab und musste entfernt werden. Schon brummte eine Fliege, und die Kuh suchte erneut Zuflucht im Wasser. War das ein Segen, als diese (dreckige!) Wasserstelle eingezäunt wurde. Das Melkergebnis war an solchen Tagen minimal, aber der Gang musste sein, so streng war es früher.
Sonst war eine Kuh draußen sauberer als im Stall. Das Säubern vorm Melken war einfacher, aber sie stand unangebunden in der Weide. Dass Kühe sich bereitwillig hinstellten und den Melker ruhig neben sich hocken ließen und auch das Euter durch richtige Beistellung freigaben, hat mich von Kind an verwundert. Sie gaben den weißen Saft gerne her, weil er auf die Milchdrüsen drückte und bekamen Lob und Streicheln, wenn sie brav den Melkvorgang lang still standen und nicht so schlimm mit dem Schwanz umher geschlagen hatten. Das tat sehr weh, wenn er das Gesicht beim Melken traf. Nur die jungen Kühe, die zum ersten Mal nach dem Kalben Weidegang hatten, waren manchmal „Biester“. Sie wollten nicht stillstehen, schlugen nach dem Melker und auch den Eimer um, was sie dann noch mehr in Panik brachte. Da musste dann schon eine kräftige zweite Person das Tier mit einfangen und es festhalten. Das kam auch vor, wenn eine Kuh sich an den Strichen (Zitzen) verletzt hatte und Schmerzen beim Ziehen spürte. Zum Verzweifeln war der Melkgang, wenn Gewitterluft und Bremsen die Kühe beunruhigten. Wie ein wild gewordener Haufen rannten sie quer durch die Weide, dass die Milch dabei aus den Zitzen spritzte. Standen sie mal kaum zum Melken bereit, ließ das Brummen einer Fliege („Gewitterbolzen“) den Schwanz steil hoch steigen. Mit einem Satz war die Kuh über den Eimer getreten und verschwunden. „De Keih birst“ („Die Kühe haben das Rennen“) war gleichbedeutend mit wenig Milchertrag und Anzeichen für ein kommendes Gewitter. Beim Melken vom Gewitter überrascht zu werden, war mit Angst verbunden. Kühe, die unter Bäumen Schutz vor Regen und Hagel suchten, wurden nicht selten vom Blitz erschlagen, und ebenso Melkerinnen, die unter den Kühen saßen.
An Tagen, wo nicht zusätzliche Feldarbeit den Tagesablauf bestimmte, konnte das melken mit friedlichen Kühen großer Spaß sein. Mit einem Schemel war das eine Arbeit im Sitzen und ließ schon mal ein Lied nach dem anderen über die Lippen kommen, was auch den Kühen behagte. Nun, gesungen wurde in jener Zeit ohne Radio und Fernsehen so wie so noch viel. Allerdings ist das Handmelken keine leichte Arbeit gewesen. Die ersten Milchstrahlen kamen in die Hand zum Prüfen, ob die Milch einwandfrei war. Dann nahm man Melkfett, was das Ziehen am Euter erleichterte und es pflegte. Da war auch bei jeder Kuh die Anstrengung des Melkens nach Euterlage, Zitzengröße und deren Durchlässen grundverschieden und man hatte seine „Lieblinge“ dafür. Da war das Auswählen der Tiere beim Melken zu zweien schon ein Streitthema. Aber das wurde vorher gerecht geregelt und war morgens, wenn meist zu zweit gemolken wurde, ohne Worte abgetan, denn jeder molk „seine“ Kühe.
Auch mit der Milch dann zu Hause war das eine Team-Arbeit. Das Durchsieben der Milch aus der großen Kanne durch ein Siebtuch musste vorsichtig geschehen. Das Einschütten in den Zentrifugenbehälter zur sofortigen Durchdrehen der Milch, weil sie warm besser entrahmte, musste ebenfalls sorgfältig sein. Wenn alles Milchgeschirr dann abgewaschen war, gab es das erste Frühstück.
Als die 20-Liter-Kannen und die Anfuhr zur Molkerei auch bei uns endlich praktiziert wurden, fuhren wir mit den Kannen im Handwagen zum Melken. Da wurde die gemolkene Milch gleich durch ein Sieb, nun mit auswechselbarer Filtereinlage, in die Kanne geschüttet. Da war dann zu Hause nur noch das Kühlen dieser Kannen erforderlich und das Abwaschen von Sieb und Eimern, hier oder auf der Weide.
Der Herbst brachte Dunkelheit und Nebel. Da war morgens um fünf Uhr, und auch eine Stunde später, das Auffinden der Kühe schwer, die meist noch irgendwo an nach ihrem Instinkt ausgesuchten geschützten Stellen lagen. das Geräusch vom Rülpsen und das „Flantern“ einer aufgestandenen Kuh wies uns die Richtung. Dass der Fuß dann oftmals in etwas sehr weiches trat, gehörte dazu. Abends war es noch heller, aber das Heimgehen ohne Lampen, wie am Morgen, fand im Dunkel auf dem „Pattweg“ (Fußweg) neben dem Sandweg statt. Man begegnete höchstens anderen Melkerinnen, und die waren vom „Klötern“ des Wagens gewarnt und es gab keine Zusammenstöße.
Es gab aber nach dem Umtreiben in den Kuhweiden im Herbst noch weitere Wege, in das Nachgras der Heuwiesen. „Maase“ hieß sie bei uns, an der großen Forst „Hoyaer Weide“ gelegen. Da gab es viel Bremsen, da gab es Störche, denn die Wiese war feuchter, da gab es Hecken von Kopfweiden und damit viel Zecken, vor denen wir uns früher nicht fürchteten. Sie hingen oft in Daumengröße am Euter und wir zerdrückten sie.
Es gab aber auch Fahrten zum weit entfernten „Dodenbruch“ an der Grenze nach Hoyerhagen, wo die Rinder weideten. War das Gras knapp geworden, kamen auch die Kühe, mit Hintreiben, für ein paar Wochen auf die „Große Weide“. Da musste man früher aufstehen, um den Milchwagen nicht zu verpassen. Es gab vor dem 2. Weltkrieg auch schon die Vorrichtung, vorn am Fahrrad zwei Milchkannen anzuhängen. War der Milchertrag aber höher, wurde der alte Kutschwagen genommen. Der hintere Sitz war zur Ladefläche gemacht worden und bot Platz für alles Melkzeug. Wenn die Pferde keine Pfug– oder andere Feldarbeiten zu tun hatten, wurde die Zeit zu diesen Melkfahrten wahrgenommen, und das war sehr bequem. Unvorstellbar, dass meine Tanten einst diese langen Wege drei Mal am Tag zu Fuß und mit Joch und den schweren Eimern mit Deckeln gegangen sind!! Und meine Mutter erzählte, wie sie noch erlebte, dass Melkerinnen mit dem Eimer auf dem Kopf, durch ein Ringkissen geschützt, strickend die holperigen Wege in den Bruch zum Melken gegangen sind, und das war von ihrem Heimatort Wechold kilometerweit entfernt.
Melken war schön, wenn es nicht donnerte, regnete oder stürmte oder die ersten Fröste die Finger erstarren ließen. Da freute man sich auf das Einbinden. Das war dann wieder ein ganz anderes Melken im Stall. Da standen die Kühe in der Reihe angebunden mit dem Kopf zur Diele und Futterkrippe. Über die hinweg und durch die Stallbäume hindurch stieg man mit dem Schemel, Eimer, Putztuch und Melkfett, das man sich an den Schemel klebte.
Das Füttern und Ausmisten war Männersache in der Zeit der Feldruhe. Aber das vierte Melken von den frisch gekalbten Kühen mit den großen Eutern abends um 10 Uhr war immer die Arbeit von Frauen. Umziehen nach der Gemütlichkeit der Handarbeit in der Wohnstube, Melken, Abwasch von Sieb und Eimer, oft auch Kälber tränken nach dem Melken, wäre heute eine Zumutung, damals aber eine Selbstverständlichkeit. Die Kühe bei uns kalbten meist in den Stallmonaten. So konnte man das Vieh besser beobachten und sie brachten beim Austrieb einen zweiten Schub an Milchleistung.
Wir hatten aber einmal vor Weihnachten fünf trockenstehende Kühe, wie das vier Wochen vor dem Kalben nötig war, und nur noch eine Kuh gab etwas Milch. Da war bei Mutter Not für die Fettversorgung im Haushalt, denn zugekauft wurde damals nichts. Für Braunkuchen und die vielen Butterkuchen zu Weihnachten sollte gespart werden. So gab es „Pannenbodder“ aus Mehl, Milch (Wasser) und ein paar Eiern. Das schmeckte morgens warm auf trockenem Schwarzbrot. Das erste Schlachten verhalf mit Griebenschmalz und Knipp zum fettigeren Genuss am Morgen. Gefrühstückt wurde im Winter nur einmal. Man stand später auf und der Mittagsschlaf fiel wegen des früheren Feierabends auch aus. Am Nachmittag gab es Graubrot mit Marmelade, da war Butter nötig, denn Margarine wurde nicht als Brotaufstrich gekauft. Abends waren Bratkartoffeln und heiße Milchsuppe das Winteressen. Mit fünf frischmelkenden Kühen ist es dann noch ein „fettiges Fest“ geworden. Es war auch eine Ausnahme. Aber wir Frauen hatten Weihnachten nun viel zu melken und wollten abends doch gern mal ausgehen. Sogar das Dienstmädchen war um 10 Uhr zur Stelle, wenn abends das Melken anstand. Wir haben uns abgewechselt, und so ging es zufriedenstellend.
Unser Kuhstall war nach dem Neubau des Vorderhauses 1929 nicht mehr so eng wie zuvor in dem 200jährigen Fachwerkhaus. Er war bequemer zum Ausmisten mit zwei Klappen zum Misthaufen und zum Melken und Einstreuen der nicht mehr so eng stehenden Kühe. Darf ich gestehen, dass wir diesen Ort auch gern zum Verrichten des „kleinen Geschäftes“ benutzt haben, wenn uns im Winter der Gang über den Hof zum „Klo“ im Schweinestall zu weit und zu kalt war? Da war es bei den warmen Kuhleibern gemütlicher und sie störten sich nicht beim Liegen oder Stehen an diesem Besuch, wo ja dort sowieso auch ihre „Erleichterung“ stattfand.
Wenn ein Milcherzeuger von heute diesen Bericht liest, wird er nur Kopfschütteln für die früheren Melk– und Aufstallungsmethoden übrig haben. Mit den Molkereien und der Ablieferungspflicht für die Milch kamen schon damals höhere Ansprüche an Reinheit, Frische und Hygiene, das sich beim Maschinenmelken steigerte und beim heutigen „Computermelken“ anspruchsvoll ist. Wir haben aber in unserer Zeit so gemolken und das Vieh so versorgt, wie es möglich war und waren gewiss schon viel fortschrittlicher als die Generationen vor uns. Und das glaubt wohl jede Generation, die der anderen folgt! Staunenswert ist dabei, dass dennoch oft auf uralte Methoden zurückgegriffen wird, Sie haben und hatten sich bewährt.
Die Milchverwertung und das Buttern in der Handmelkzeit
Vom Melken mit der Hand ist oben berichtet worden. Was in meiner Jugendzeit danach aus der gewonnenen Milch wurde, soll hier beschrieben werden.
Das Abheben oder Abpusten des „Flotts“ (Rahm) von den Milchsatten war bald nach dem 1. Weltkrieg vorbei, zumindest bei Betrieben mit mehreren Kühen. Milchzentrifugen waren aufgekommen und trennten mit ihren schnellen Umdrehungen per Hand oder Strom den Rahm von der Vollmilch zur Magermilch durch je einen Ablauf aus dem Seperator. Da es in unserem Haus die Elektrizität schon seit dem 1. März 1914 gab und ein Motor in der Waschküche Wasser in ein Bassin für die Selbsttränke der Milchkühe an der Diele pumpte, wurde dieser Motor auch für den Antrieb der Zentrifuge gebraucht. Nur bei Stromausfall wurde mit Handkraft durchgedreht.
Wenn diese fortschrittliche Einrichtung der Milchtrennung eine große Hilfe war, nahm sie dennoch viel Zeit und Mühe der Erwachsenen in Anspruch. Als Kleinkinder, und auch später, waren wir immer irgendwie in diese Arbeit mit einbezogen, weil die Mutter damit zu sehr beschäftigt war.
Auch der Rahm aus der Zentrifuge musste in Steintöpfe solange säuern, bis er zum Buttern taugte. So standen die Töpfe im Sommer im Keller und im Winter in der warmen Küche.
Das Kälbertränken war eine der ersten Arbeiten nach dem Melken, da die ganz jungen Tiere noch die kuhwarme Vollmilch der Mutter bekamen, die nach und nach durch Magermilch ersetzt wurde. Die größeren Kälber bekamen reine Magermilch, diese zur Entwöhnung mit immer mehr Wasser gemischt.
Nun blieb bei gutem Milchertrag noch ein gut Teil Magermilch übrig. Zum Trinken stand immer in einem Eimer Magermilch in der Küche, wo sich jeder nach Belieben mit einer Kelle bediente. Dann kamen mehrere Töpfe mit Magermilch an den Herdrand zum „Käsen“. Ein kleiner Schuss Buttermilch half in kalten Jahreszeiten zum Gelingen. Von dem Quark brauchten wir viel. Immer standen mehrere Durchschläge mit abtropfender Molke im oder auf dem Küchenschrank.
Morgens gab es fein gerührten Quark mit Zucker als Brei zum Brotbelag neben Butter, Schmalz und Sirup. Wir Kinder löffelten ihn von unseren zugeteilten Tellern. Zum zweiten Frühstück gab es neben Wurst, und wenn es nicht zum Feld gebracht werden musste, den Schichtkäse. Da war der Quark abwechselnd mit saurer und etwas Kümmel in ein spezielles Heck eingeschichtet und gestürzt worden. Stippkäse gab es ab und an mit Früchten als Nachtisch am Mittag und am Abend war im Sommer nach den Bratkartoffeln das Löffeln von Käse (wie wir den Quark nur nannten) und Milch gang und gäbe. Das waren früher immer nur die mageren Sorten und schmeckten dennoch gut.
Zum Kochkäse war der Quark dann in Beuteln trockener gepresst worden und in Schüsseln gerieben. Die standen winters oft oben auf dem Stubenschrank in der Wärme und zeigten mit ihrem Geruch die Reife des Quarks an. Diese zähe Masse wurde mit etwas Milch und mehr oder weniger Butter, Salz und Kümmel zu einem leckeren Brotaufstrich gekocht, der in kleinen Schüsseln erkaltete. Wenn Besuch kam, wurde aus kühlem frischem Rahm Schlagsahne für die üppigen Torten geschlagen, was früher ohne Kühlschrank im Sommer oft schlecht gelingen wollte. Für den Sonntagabend gab es für jeden Hausbewohner ein Halbliterglasschälchen voll dicker Vollmilch mit Schwarzbrot und Zucker und in der Heuzeit konnten wir so einen Leckerbissen manchmal noch abends nach dem Badengehen im entfernt gelegenen Kanal genießen.
Wenn noch Magermilch übrig blieb, ging sie, wie auch die Molke, in den Schweinestall zur Ferkelfütterung.
Die Zentrifuge erhielt nach jedem Gebrauch eine gründliche Reinigung mit heißem Wasser und dem damals gebräuchlichem „IMI“ Das galt besonders für die Schleuderbecher, die in der Trommel aneinander saßen und wo sich gerne Schmutzpartikel absetzten. Die durften beim Abwasch nicht durcheinander gebracht werden und kamen auf einem speziellen Rohr ins Wasser und trockneten darauf locker über dem Herd. Wenn der Motor auch viel Kraft beim Durchdrehen der Milch sparte, so erforderte das Zerlegen, Reinigen und wieder Zusammenbauen der Zentrifuge viel Arbeit und Zeitaufwand.
Nun kam aber noch das Buttern. Es gab zwar schon in unserem Nachbarort Schwarme seit 1889 eine Molkerei. Auch unser Kirchdorf Martfeld hatte eine seit 1908. Mein Vater war absolut nicht für diese gemeinschaftlichen Unternehmungen. So musste meine Mutter lange Jahre die schwere Arbeit des Butterns verrichten, denn dafür fühlte sie sich verantwortlich. Der Zeitpunkt für die Reife des Rahms verlangt Feingefühl. Nun wurde das meterhohe hölzerne Butterfass, je nach Jahreszeit, mit heißem oder kaltem Wasser ausgespült und dann der Rahm hineingeschüttet. Mit gleichmäßigem Stampfen wurde der dicke Stiel mit dem gelochten Brett in Größe des Fasses auf und ab bewegt, bis sich die Butterkügelchen von der Buttermilch trennten. Das konnte eine halbe Stunde bis zu Stunden dauern, wenn im Sommer bei heißem Wetter die Fettpartikel nicht klumpen wollten. dann wurde kaltes Wasser zugegossen, im Winter auch mal heißes, und die Buttermilch schmeckte dann wässriger, die in vielen Varianten doch auch ein wichtiges und leckeres Nahrungsmittel war und den Durst gut löschte.
Mein technisch pfiffiger zweitältester Bruder, der als Schüler schon mehrere Stabilbaukasten-Wettbewerbe gewonnen hatte, erleichterte Mutter in den ersten dreißiger Jahren das Buttern mit einer Transmission, vom Motor der Pumpe und Zentrifuge abgeleitet, durch eine mechanische Vorrichtung zu Auf– und Abheben des Butterstampfers. Die war auch für den hölzernen Waschbottich brauchbar, der vorher auch manuell betrieben wurde.
Das war schon ein Kräftesparen für Mutter, die die Butterherstellung nicht gern aus der Hand gab. Nach dem Stampfen und Herausholen der Butterstückchen wurde die Buttermilch abgegossen zur Aufbewahrung. Nun kam das Kneten der wässrigen Butter in Holzmollen, die auf einer Seite einen eingeschnitzten Ausguss zum Entfernen der Molke hatten. Es war eine Kunst, die Butter mit dem breiten hölzernen Knetlöffel festzuhalten, damit die beim Ausgießen nicht rausrutschte. Dieser Löffel drückte dann beim Kneten so lange durch die Buttermasse, bis keine Tropfen mehr heraustraten. Dann wurde zwecks besserer Haltbarkeit noch etwas Salz hineingeknetet. Hatte sie nun endlich die richtige Beschaffenheit, wurde für den Haushalt der nötige Teil abgenommen und der Rest wie ein Brot geformt, gewogen und mit Kerben der Pfundsanzahl versehen. Der blieb im Keller in der Buttermolle, bis der Butter– und Eierhändler ihn abholte und in dickes Pergamentpapier gepackt hatte. Das war ein völlig freier Handel ohne Absprache. Mutters Butter war immer sehr begehrt und sie blieb nie damit sitzen. Die Händler, die zum Bremer Wochenmarkt fuhren, schauten wöchentlich vorbei. Für unsere Mutter brachten sie das Haushaltsgeld.
Dennoch hat Mutter sich lange mit der Butterei quälen müssen.. Als nach 1934/35 die Zwangsbewirtschaftung der Milcherzeugung erfolgte, duldete mein Vater nur die Lieferung von erst 20, dann höchstens 40 Liter Milch von unseren 6 – 7 Kühen. Mutter blieb die Verarbeitung der restlichen Milch, die das nicht aufbrachte, was die Molkerei heraus holte. Es kam auch bald ein Strafbefehl für meinen Vater wegen der Nichtlieferung der Milch, der ihm aber beim nächsten „Führer-Geburtstag“ erlassen wurde, weil er nun das Liefern der ganzen Milchproduktion zuließ. Mutter knetete in die Butter der Molkerei Salz, so schmeckte sie schon mehr nach selbstgemachter, und Vater war zufrieden. Zufrieden war auch Mutter mit der Arbeitserleichterung und Füllung des Haushaltsbeutels durch den besseren Auszahlungsbetrag der Molkerei. Nur in den Kriegsjahren, als es alles auf Zuteilung gab, war Mutter sehr bestrebt, aus „Biestmilch“, das ist die erste Milch nach dem Kalben der Kühe, die wegen der Verklebung der Molkereizentrifugen einige Tage nicht geliefert werden durfte, goldgelbe Butter zum Kochen und zum Backen zu zaubern. So saß sie, die so bange dem Einmarsch der Engländer entgegensah, seelenruhig in einem abgelegenen Raum und drehte einen Sahnezubereiter zur Herstellung von ein bisschen Butter. Das war, als am 7. April 1945 nachmittags die Rohre der Panzer auf unser Dorf gerichtet waren und auch ein Haus in Brand geschossen wurde.
Ab diesem Tag ging das Zentrifugen und Buttern für kurze Zeit wieder richtig los, weil die Molkerei den Betrieb einstellte. Die Zentrifugen waren plombiert, unser Nachbar hatte eine in Funktion. Also schleppten wir die Milch über den Zaun und nichts war mehr zu schwer und zu lästig. Da wurde nach den Bombennächten eine kurze Zeit üppig gelebt, wie nie zuvor, bis die Besatzungsmacht die Ablieferung wieder regelte und alles noch knapper als vorher wurde.
Schon 10 Jahre nach dieser Zeit erlebt die Milcherzeugung und –verarbeitung soviel Modernes und die Mechanisierung, dass die Zeit des Handmelkens, der Milchverwertung und Vermarktung total rückständig erscheint.
Charlotte Homfeld
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